Samstag, 05. Oktober 2024
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Digitalisierungs-Aversion im Einzelhandel?

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„Seit Jahren wächst nur noch der Onlinehandel, doch Hunderttausende mittelständische Geschäftsinhaber verweigern sich der Digitalisierung hartnäckig. In der Corona-Krise rächt sich das bitter, Experten sehen Zehntausende Läden vor dem Aus,“ so leitet WELT-Korrespondent Michael Gassmann seinen Beitrag ein: „Geschäfte werden sterben wie die Fliegen“ (Gassmann | WELT | 07.11.2020).

Darin schildert er das Beispiel eines Agenturgründers, der Kaufleuten einen Einstieg in den Online-Handel ermöglichen wollte, und an den branchentypischen Beharrungskräften scheitert.
Nun kommt die Corona-Krise dazu: „Der seit November geltende „Lockdown-Light“ bietet Käufern kaum Anreize, sich in Innenstädte zu begeben, in denen vermummte Menschen das Straßenbild prägen und wo es weder Kaffee noch Kuchen in den Shopping-Pausen gibt, weil die Gastronomen schließen müssen.“
Der Tod der Innenstädte und Geschäftsstraßen könnte damit programmiert sein.


Einzelhandel in Berlin: „Es ist ein Desaster“

In der Berliner Zeitung interviewt Elmar Schütze den Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Berlin-Brandenburg Nils-Busch-Petersen. Auf die Frage, ob das Offenhalten der Geschäfte für die Branche ein Gewinn sei, antwortete er „Im Gegenteil. Es ist ein Desaster.“ (Schütze |Berliner Zeitung | 07.11.2020)
Busch-Petersen verweist auf die gesunkenen Kundenfrequenzen. In wohnortnahen Lagen sind es 10 Prozent, in höherfrequenten Lagen bis zu 40%. In zentralen von Touristen besuchten Lagen sind es bis zu 50%.
Besonders schlimm sei die Lage in den Bereichen Textil, Bekleidung und Schuhe.
„Die Politik schaltet den Handel faktisch runter, gibt ihm aber keine Chance auf Soforthilfe“, klagt Busch-Petersen in dem Interview.

Der Handelsverband Deutschland e.V. ist bereits auf die Politik und das Bundeswirtschaftsministerium zugegangen, doch schlüssige Antworten gibt es noch nicht. Bund und Länder sind sich noch nicht einig, wie die Corona-Hilfen für den Handel aussehen können.


Kommentar:
Die Strukturkrise im Einzelhandel ist schon lange erkennbar. Vor allem inhabergeführte Alleininhaber sind heute betriebswirtschaftlich mit der Digitalisierung überfordert. Der Grund: die gesamte Wertschöpfungskette vom Einkauf, über Warenwirtschaft, Disposition, Verkauf, Bezahlsysteme und digitalen Service-Erlebnis muss optimiert werden. Dabei gerät der kleine Einzelhandel in unüberbrückbare Kostenfallen, Zeitfallen und steht letztlich vor unlösbaren Hürden.
Hinzu kommt: bewährte Strukturen mit Wirtschaftsförderung, Wirtschaftsvereinen und Stadtmarketing sind in der Corona-Krise praktisch obsolet geworden. Digitale Plattformökonomien ebnen die vielfältig und individuell strukturierten Innenstadt-Märkte und Händler-Märkte ein und lassen kaum noch freie Marktnischen übrig.