Nach der Wiederholungswahl vom 12. Februar 2023 und der Neuaufstellung der Bezirksverordnetenversammlung muss auch die Haushaltsplanung in ganz Berlin neu geprüft und parlamentarisch neu geplant und legitimiert werden. Dies hat enorme Folgen, denn in der laufenden Legislaturperiode entsteht eine Unsicherheit, ob bisherige Haushaltsplanungen fortgeführt weerden können. Auch müssen manche Pläne überprüft und neu begründet werden.
Das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf hat daher mit sofortiger Wirkung eine haushaltswirtschaftliche Sperre erlassen.
Die Landeshaushaltsordnung sieht diesen Schritt vor, wenn größere Defizite im Jahresverlauf zu erwarten sind. In einer ersten Prognose für das Haushaltsjahr 2023 sieht das Bezirksamt aktuell eine unkalkulierbare Haushaltssituation und ein mögliches Defizit in Millionenhöhe. Da der Bezirk Marzahn-Hellersdorf anders als die meisten Bezirke über keine Rücklagen verfügt, sind Maßnahmen zur Ausgabenreduzierung ein erster wichtiger Schritt, um ein Defizit zu vermeiden oder zu reduzieren.
Für das Haushaltsjahr 2022 hatte der Bezirk Marzahn-Hellersdorf bereits mehr Geld ausgeben müssen, als er zugewiesen bekommen hat. Dieses Geld muss im Jahr 2024 eingespart werden.
Die in der Presseitteilung vom 20.4.2023 genannte Summe von „-497,9000 Euro“ ist offenbar redaktionell „vermurkst.“ Die Redaktion vermutet, es können sich um ein Defizit von rund 4.979.000,– € handeln, also ca. 5 Mio. Euro.
Die Haushaltssperre gilt nicht für Personaleinstellungen, laufende Verträge oder bauliche Maßnahmen, sondern ausschließlich für Anschaffungen und Dienstleistungen (A 05 und A 09). Unter Anschaffungen fallen z.B. Computerprogramme, Büromöbel etc.. Unter Dienstleistungen fallen nicht zwingend notwendige Dienstreisen, Aus- und Fortbildungen, Veranstaltungen etc.
Gordon Lemm, Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf, versucht die Erklärung:
„Zur Haushaltsplanaufstellung 2022 standen wir als Bezirk vor der Aufgabe 16 Millionen Euro aufzulösen. Diese Summe gab es an Mehranmeldungen aus unseren Ämtern im Vergleich zu der Summe, die uns das Land zur Verfügung gestellt hatte. Durch sinnvolle, kluge und sozial verträgliche Sparmaßnahmen und viele Gespräche mit dem Land Berlin, dem Abgeordnetenhaus und gemeinsamen Schreiben aller Bezirksbürgermeisterinnen und Bezirksbürgermeister an die Senatsfinanzverwaltung ist es uns damals gelungen, diesen gewaltigen Unterschied aufzulösen.
Dazu zählte auch der Einsatz von Überschüssen aus den vorigen Haushaltsjahren, die durch nicht besetzte Stellen in unserem Bezirksamt entstanden waren. Diese stehen zukünftig nicht mehr zur Verfügung. Ich hatte bereits zum damaligen Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass aus unserer Sicht die Bezirke strukturell unterfinanziert sind. Gerade unser Bezirk leidet seit über 15 Jahren daran, dass das geltende Zuweisungssystem nicht die Realitäten der Bedarfe und Ausgaben in den Bezirksverwaltungen widerspiegelt. Ich habe mich deshalb unter anderem in den aktuellen Koalitionsverhandlungen dafür eingesetzt, dass die Bezirke entsprechend ihrer tatsächlichen Bedarfe finanziert werden sollen. Die aktuelle Kostenentwicklung zwingt uns als Bezirk zum Handeln. Wir rechnen mit einem Millionenbetrag an Mehrausgaben, von denen unklar ist, wieviel wir davon vom Land Berlin zurückbekommen. Im Sinne einer soliden Haushaltswirtschaft habe ich mich zu diesem Schritt entschlossen. Zum einen um die Handlungsfähigkeit zukünftiger Haushalte nicht zu gefährden. Zum anderen um ein Zeichen in die Verwaltung zum sparsamen Umgang mit unseren Haushaltsmitteln aber auch an das Land und eine neue Regierung zur Beachtung der realen finanziellen Bedarfe der Bezirke zu setzen.“
Kommentar: Marzahn-Hellersdorf leidet an Strukturproblemen
Der Bezirksbürgermeister blickt vor allem aus der Verwaltungsperspektive auf seinen Bezirk. Die für die Finanzlage maßgeblichen sozialen Strukturprobleme wurden nicht angesprochen.
Eine hohe Zahl von Haushalten mit sozialen Unterstützungsbedarf, und die gestiegene Arbeitslosigkeit und die hohe Zahl von Menschen in Grundsicherung überfordern alle kommunalen Haushalte. Fast die Hälfte der Menschen in Marzahn-Hellersdorf lebt allein, mit zunehmender Tendenz, und steigenden Wohnkostenanteilen. Jede zehnte Ehe wurde geschieden, Trennungen sind häufig ein Armutsrisiko, das im Sozialetat ankommt.
Dazu kommt in Berlin ein bundesweiter Spitzenwert in der Kinderarmutsquote
Die Kommunalpolitik muss daher umsteuern, und vor allem Erwerbsarbeit und Familien-Einkommen stärken, und entsprechende Erwerbschancen. Die weitere Förderung von Ehrenamtsprojekten ist nicht zieführend, weil am Ende immer mehr Geld in „Betreuerstrukturen“ ankommt. Die Fehlentwicklungen in den Großsiedlungen müssen daher überprüft werden. Nicht „Quartiersmanagement“ muss gefördert werden, sondern Bildung und Fachkräfteausbildung und sozialer Aufsteig — zum Beispiel über die vielen landeseigenen Unternehmen!